1. G·E·M Forum
Wie Marken wirken. Impulse aus der Neuroökonomie für die Markenführung
18. November 2008
Die G·E·M Foren sind eine neue Veranstaltungsreihe der G·E·M. Im Meinungsaustausch zwischen Wissenschaft und Praxis werden zukunftsweisende Beiträge zum Thema Marke und Markenführung aufbereitet. Die Veranstaltung, die dem interdisziplinären Ansatz zur Deutung und Erklärung des Markenwesens Rechnung tragen soll, wird im engen Kontakt mit einem Lehrstuhl konzipiert und vor Ort (in der Universität) durchgeführt.
Die G·E·M Foren richten sich an Menschen in Unternehmen und an Hochschulen, die sich sehr frühzeitig für kommende markenrelevante Themen interessieren. Sie leben von der Mitarbeit und intensiven Diskussionsbereitschaft der Teilnehmer.
Das erste G·E·M Forum
Das 1. G·E·M Forum fand am 18. November 2008 in der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, statt. Konzipiert von Prof. Dr. Dr. h.c. Dr. h.c. Richard Köhler, Mitglied des Kuratoriums der G·E·M Gesellschaft zur Erforschung des Markenwesens e.V., und dem Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Distribution und Handel, an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster unter der Leitung von Prof. Dr. Dieter Ahlert. Das Thema:
„Neuroökonomie und Markenführung“
Prof. Richard Köhler, Emeritus am Marketing-Seminar der Universität zu Köln, führte in das Thema ein:
Obwohl bereits Anfang der 1990er Jahre das Jahrzehnt der Hirnforschung proklamiert wurde, sind die meisten neurowissenschaftlichen Ergebnisse und Methoden bis dato in der wirtschaftswissenschaftlichen Forschung und in der Praxis nur wenig beachtet worden. Erst in den letzten Jahren hat sich an einigen wenigen wissenschaftlichen Instituten unter dem Rubrum „Neuroökonomik“ eine Forschungsrichtung entwickelt, die neurowissenschaftliche Methoden und Erkenntnisse nutzt, um wirtschaftlich relevantes Verhalten zu beobachten und besser zu verstehen.
Ein wichtiges Untersuchungsobjekt der Forscher ist die neuronale Wirkung von Marken. In einschlägigen Studien konnte gezeigt werden, dass starke Marken spezifische neurale Effekte hervorrufen, die mit den klassischen Methoden der Markenforschung bisher nicht identifiziert werden konnten. Diese ersten Studien zeigen, dass herkömmliche Theorien der Markenbildung ergänzt werden sollten.
Gegenstand des 1. G·E·M Forum „Neuroökonomie und Markenführung“ ist es vor diesem Hintergrund, dem Auditorium den Einstieg in das Thema „Neuroökonomie“ zu geben und an konkreten Forschungsergebnissen aus der Marken- und Kommunikationsforschung zu zeigen, welchen Beitrag die Neuroökonomie zur Weiterentwicklung von Markentheorie und Markenpraxis leisten kann.
Neuroökonomie, Neurowissenschaften, Hirnforschung
Zu Beginn ihrer Ausführungen wiesen vor allem die Professoren Dieter Ahlert und Peter Kenning darauf hin, dass sie mit dem Begriff „Neuroökonomie“ nicht sehr glücklich seien, dennoch würden sie ihn benutzen. In der Zeitschrift für Management (2006, Heft 1) schrieben sie: »In den letzten Jahren hat sich unter dem Rubrum „Neuroökonomik“ (auch: „Neuroökonomie“) eine Forschungsrichtung entwickelt, die neuere neurowissenschaftliche Methoden nutzt, um ökonomisch relevante Vorgänge zu analysieren.«
Neurowissenschaften werden bei „Wikipedia“ definiert als »Sammelbegriff für biologische, physikalische, medizinische und psychologische Wissenschaftsbereiche, die den Aufbau und die Funktionsweise von Nervensystemen untersuchen. Untersuchungsgegenstand sind die Mechanismen, mit denen Nervensysteme dazu beitragen, dass Organismen ihre Lebensvorgänge angepasst an ihre jeweiligen Umwelten vollziehen können. Dabei werden Aufbau und Funktion sowohl von einzelnen Nervenzellen (Neuronen), von größeren Zellverbänden, die Funktionseinheiten bilden, aber auch ganzer Nervensysteme untersucht.
Forschungsrichtungen der Neurowissenschaften, die sich hauptsächlich mit der Untersuchung von Aufbau und Leistungen des Gehirns von Menschen und nicht-menschlichen Primaten befassen, werden oftmals als Hirnforschung oder Gehirnforschung bezeichnet.«
Input für das erste G·E·M Forum
Input für das fünfeinhalbstündige 1. G·E·M Forum „Neuroökonomie und Markenführung“ gaben vier Referenten, deren Ausführungen jeweils – unter der Moderation von Prof. Richard Köhler – intensiv mit den rund 50 Telnehmern diskutiert wurden.
1. Aspekte transdisziplinärer Markenforschung
Prof. Dr. Dieter Ahlert, Ordinarius am Lehrstuhl für BWL, insbesondere Distribution und Handel, an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, Direktor des Marketing Centrum Münster (MCM), erläuterte, dass „transdisziplinäre“ Forschung weitergreife als die bereits gut entwickelte „interdisziplinäre“ Forschung.
Von transdisziplinärer (integrativer) Forschung kann gesprochen werden, wenn die beteiligten Fachvertreter nicht nur in einem offenen und transparenten Dialog interagieren, sondern auch ihre unterschiedlichen Perspektiven auf das Untersuchungsobjekt Marke gegeneinander zu relativieren und nicht zuletzt auch ihre Theoriekonzepte wechselseitig anzupassen bereit sind. Transdisziplinarität ist in der Markenforschung noch unterentwickelt, aber notwendig.
Prof. Ahlert nannte fünf Fragen, auf die Markenforschung Antworten geben muss:
- Was ist Marke?
- Welche Effekte entfaltet Marke?
- Wie entsteht Marke?
- Warum entsteht Marke?
- Wie kann die Markenbildung zielorientiert beeinflusst werden?
Für die Markenforschung forderte Professor Ahlert einen stärker empfänger-orientierten Ansatz. Marke ist eine Fiktion in der Psyche der Menschen. Marke entsteht in den Köpfen der Menschen und könne dort auch gemessen werden. Marken sind kollektive Deutungsmuster, die Menschen als Orientierungshilfe zur Bewältigung von Entscheidungskonflikten nutzen.
Markenbildung findet statt, unbewusst, unvermeidlich. Marken entstehen anthropologisch aus der Verarbeitung komplexer Erfahrungen.
Wenn wir von Marken sprechen, dann meinen wir starke Marken; den Gegensatz bilden Markenattrappen oder „Märkchen“. Eine starke Marke führt dazu, dass bei einem Problem das Gehirn auf stand-by schaltet.
Vgl. dazu auch die Vortrags-Charts von Prof. Dr. Dieter Ahlert:
Download (pdf 765 kB).
2. Fünf Jahre neuroökonomische Markenforschung.
Eine Zwischenbilanz
Seit etwa fünf Jahren beschäftigen sich transdisziplinäre Forschergruppen an führenden wissenschaftlichen Institutionen mit der systematischen Integration neurowissenschaftlicher Methoden und Erkenntnisse in die ökonomische Forschung. Einen wichtigen Forschungsgegenstand bilden dabei interessanterweise Marken, deren, oft vollkommen unbewusste, neurale Wirkung insbesondere mit sogenannten bildgebenden Verfahren untersucht wird.
Prof. Dr. Peter Kenning, Lehrstuhl für Marketing, Zeppelin University (ZU), Friedrichshafen, gab in seinem Vortrag einen Überblick über die gewonnenen Untersuchungs- ergebnisse neuroökonomischer Markenforschung und gab dabei auch Einblick in bis dato noch kaum bekannte Studienergebnisse.
5 Jahre Forschung präsentierte Prof. Kenning mit 7 Learnings:
- Marken entlasten Entscheidungsprozesse
- Marken müssen (messbar!) mit Emotionen verbunden werden (merkwürdige Leistung) Marken wirken nicht linear: The winner takes it all!
- Die markenbildende Wirkung von Werbung kann man – verglichen mit der Befragung – exakt messen. Gute Werbung ist eine Belohnung
- Die neurale Wirkung attraktiver Verpackungen ist bekannt
- Der Preis hat sowohl eine belohnende als auch eine bestrafende Wirkung im Gehirn
- Die neuralen Mechanismen der Markenloyalität sind bekannt
- Die neuralen Mechanismen der Kaufentscheidung sind bekannt.
Vgl. dazu auch die Vortrags-Charts von Prof. Dr. Peter Kenning:
Download (pdf 1 MB).
3. Messung und Wirkung von Markenemotionen.
Neuromarketing als neuer verhaltenswissenschaftlicher Ansatz
Dr. Thorsten Möll, Senior Research Manager am MAFO-Institut, Schwalbach, zuvor
wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Marketing an der Justus-Liebig-Universität
Gießen, beleuchtete die wachsende Bedeutung von Markenemotionen für die Markenführung
unter heutigen Rahmenbedingungen. „Der Mensch ist nun einmal eher ein emotionales
denn ein rein rationales Wesen.“
Emotionen ersetzen langwierige Entscheidungsprozesse. Marken-Emotionen spielen eine zunehmend wichtigere Rolle. Durch die Vermittlung eines emotionalen Zusatznutzens können sich Marken von funktional gleichwertigen Konkurrenzprodukten absetzen.
Jedoch: es fehlen Erkenntnisse zur Wirkung emotionaler Marken. Thorsten Möll nannte als Forschungsfragen:
- Wie kann man Markenemotionen reliabel und valide messen?
- Welche Wirkungen haben unterschiedliche Markenemotionen?
- Lassen sich unterschiedliche Markenemotionen auch physiologisch nachweisen?
In seiner Dissertation „Messung und Wirkung von Markenemotionen. Neuromarketing als neuer verhaltenswissenschaftlicher Ansatz“, die die Basis seines Vortrages bildete, liefert Dr. Thorsten Möll einen Beitrag zum Verständnis der Emotionalität von Marken: Durch den Vergleich zwischen unbekannten Marken, neutralen Marken und emotionalen Marken wird im Kern ein klassischer Lernprozess zum Aufbau von Markenwissen simuliert.
Mit Hilfe der funktionellen Magnetresonanztomographie (fMRT) wurde gemessen, dass diese Marken weitestgehend unterschiedliche Gehirnregionen aktivieren:
- Unbekannte Marken aktivieren Hirnregionen, die für das Lesen neuer Wörter zuständig sind und dadurch langsam einen Gedächtnisaufbau bewirken.
- Bekannte Marken aktivieren hingegen solche Regionen, bei denen auf Wissen zurückgegriffen wird.
- Überraschenderweise aktivieren jedoch nur emotionale Marken solche Hirnregionen, in denen positive Emotionen evoziert werden, während neutrale und unbekannte Marken gleichermaßen Bereiche, die für negative Emotionen stehen, aktivieren.
Vgl. dazu auch die Vortrags-Charts von Dr. Thorsten Möll:
Download (pdf 4,2 MB).
4. Neuroökonomie in der Marketing-Praxis.
Ein Bericht von der (Kunden-) Front
In der Praxis zeigt sich allzu oft, dass der Fokus auf das Unternehmen und nicht auf den
Konsumenten gerichtet ist – so Dr. Christian Scheier, decode Marketingberatung GmbH in Hamburg. Wenn aber Marke nicht mehr nur ein Lippenbekenntnis sein soll, lautet die zentrale Frage: Wie überzeugen wir Menschen?
Dazu müssen wir in die Köpfe unserer Kunden blicken und herausfinden, wie erfolgreiche Marken im Gehirn wirken. Dann zeigt sich sehr schnell, dass eine Marke keine quantitative, sondern eine psychologische Größe ist. Und das bedeutet: Marken wirken indirekt. Ohne die indirekte Wirkung von Marken zu verstehen, kann das Potenzial einer starken Marke nicht systematisch ausgeschöpft werden. Den Zugang zu diesen indirekten Wirkungsvorgängen gewährt die Neuropsychologie.
Als Lösungsansatz empfahl Dr. Christian Scheier: Mit dem Kunden ein neuropsychologisches Markenmodell implementieren. Die Erkenntnisse der Neuroökonomie haben – speziell für das Marketing und die Markenführung – eine hohe praktische Relevanz. Die Neuropsychologie legt offen, wie das Gehirn funktioniert. Das Gehirn hat sich nicht verändert seit es Marken gibt. Und es nutzt keine extra entwickelten Mechanismen, um mit dem Phänomen Marke umzugehen. Es nutzt seine vorhandenen Strukturen und Funktionen. Das Wissen um diese Funktionsweise unseres Gehirns macht es möglich, das „Wie“ und „Warum“ der mächtigen Wirkung starker Marken zu entschlüsseln.
»Unser Ziel ist es – schreiben Dr. Christian Scheier und sein Co-Autor Dirk Held in der Einleitung zu ihrem Buch „Was Marken erfolgreich macht. Neuropsychologie in der Markenführung“ –, das "Wie" und das "Warum" der Markenführung zu entschlüsseln. Warum also Marken ihre Wirkung entfalten und wie wir dieses Wissen im Alltag nutzen können, von der Positionierung, über das Management von Innovationen bis hin zur Frage, wie die Kultur unseres eigenen Unternehmens in die Markenführung hineinspielt. Unsere Erfahrung hat in den unterschiedlichsten Produktkategorien gezeigt, dass sich die Erkenntnisse der aktuellen Neuropsychologie hervorragend dafür eignen, das Phänomen Marke zu fassen und dem heutigen Stand der Markenführung das "Wie" und "Warum" zu addieren.«
Vgl. dazu auch die Vortrags-Charts von Dr. Christian Scheier:
Download (pdf 1,2 MB).
Magnetresonanz-Gerät im BGZ Münster
Im Anschluss an die Vorträge und Diskussionen in der Universität Münster konnten interessierte Teilnehmer ein Magnetresonanz-Gerät im Bildgebungszentrum (BGZ) Münster besichtigen und im praktischen Einsatz miterleben.
Das BGZ versteht sich als wissenschaftlicher Dienstleister. Es hat das Ziel, Unternehmen, die vermuten, dass unbewusste, emotionale Prozesse im Gehirn die eigentliche Quelle ihrer Wertschöpfung darstellen, in ihrer Arbeit zu unterstützen. Im Gegensatz zu anderen Anbietern im Bereich der neuroökonomischen Forschung und kommerziellen Beratung bietet das BGZ ein umfassendes Spektrum wissenschaftlich etablierter neuroökonomischer Untersuchungstechniken auf Basis der funktionellen Gehirnbildgebung an. Mehr über das BGZ:
http://www.bgz-ms.de/site/index.php?page=0
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Notizen von Wolfgang K.A. Disch, Hamburg, Mitglied des Kuratoriums der G·E·M Gesellschaft zur Erforschung des Markenwesens e.V.
Fotos: MünsterView/Tronque, Münster